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Ein Achtel Rot

Im ijgd-Newsletter erscheint vierteljährlich eine Kolumne unter dem Titel "Ein Achtel Rot".

Hier noch einmal zum Nachlesen.

Den kompletten Newsletter mit interessanten Beiträgen über die Arbeit der Internationalen Jugendgemeinschaftsdienste (ijgd) im Bereich der Freiwilligendienste und Workcamps könnt Ihr unter www.ijgd.de bestellen.

II/2007 E.A.R.

 

 

Wer Ohren hat der höre: EAR ist also die geniale Abkürzung für Ein Achtel Rot. Wie nah beieinander können Abkürzungen, Schilder, Verderben, Tod und gelegentlich auch Auferstehung eigentlich sein?

Auf einer Fahrradtour durch England fiel mir nach einer Phase in der ich angestrengt und zögerlich den Linksverkehr akzeptieren lernte, der seltsame Pelzbesatz vieler Straßen auf. Als mein Unterbewusstsein schon viel weiter in seinen Erkenntnissen war, schlug sich mein Bewusstsein noch recht lange mit abenteuerlichen Theorien herum. Der pelzige Belag war nicht ganz gleichmäßig. Frische, flauschige Häufchen wechselten sich ab mit schon etwas unansehnlicheren kurzhaarigen Huckeln. Waren das tatsächlich unachtsam verstreute gefütterte Arbeitshandschuhe von winterlichen Reifenwechseln? Diese Hoffnung wurde zwar immer stärker, jedoch auch abstruser.

Man will es lange nicht wahrhaben, aber irgendwann wird es selbst der beschaulichste Radfahrer schwer haben, nicht eines jener Zwergkaninchen oder Minihasen, die sich in zweifellos selbstmörderischer Absicht auf die Straßen wälzen, durch seine Speichen quirlen zu lassen. Selbstmörderisch, weil sie auf den Wiesen in solcher Häufigkeit anzutreffen sind, dass sie wohl selbst keine andere Chance sehen, ihre Populationsstärke irgendwie zu regulieren !

In Schweden dagegen war ich mit einem Auto unterwegs. Natürlich sieht man dabei pro Zeiteinheit nicht mehr, sondern eher weniger als mit dem Rad. Aber man überblickt doch eine längere Strecke. Deswegen fielen mir dort auf den Straßen nicht nur tote Hasen sondern auch tote Hunde, tote Katzen, tote Rehe, tote Füchse, tote Dachse und sogar tote Fische auf. Aber was soll ich sagen, nicht ein einziger toter Elch!

Die Straßen sind auch voll von Schildern, dass man Elche nicht tot fahren soll! (Obwohl die Deutschen angeblich soviel von diesen Schildern klauen). Ich halte das für ein hervorragendes Beispiel erfolgreicher Ausschilderung und wage die Behauptung, dass sich vieles Leid auf der Welt hätte verhindern lassen können, wenn wir rechtzeitig ordentlich ausgeschildert hätten.

Am Roten Meer habe ich tote Schafe und tote Hunde am Badestrand gesehen, kann aber im Nachhinein nicht mehr sagen, ob es der Badestrand war, denn er war als solches nicht ausgeschildert.

Weil wir aber gerade in dieser Region sind, fallen mir auch lustige Schilder auf der Straße von Jerusalem zum Toten Meer ein. Nein, ich meine nicht die: „Sie befinden sich jetzt 200m unter dem Meeresspiegel“ oder „…300m unter dem Meeresspiegel“. Die geübte Geogräfin (oder der geübte Geograf) unter uns kann solche Bemerkungen richtig einordnen.

Bereits kurz hinter Jerusalem, dort wo die Straße am steilsten ist, fällt ein Achtungszeichen auf mit dem Text: „ Please control your brakes“. Ich glaube nicht, dass viele Autofahrer das wirklich tun. Ich hoffe, dass die meisten, die es tun, danach beruhigt weiter fahren. Diejenigen, die etwas aufgeschreckt feststellen, dass ihre Bremsen nicht funktionieren, werden wenig Muße verspüren, auf die nächsten schriftlichen Hinweise zu achten. Was mit denen später geschieht, weiß ich nicht. Was mit solchen geschieht, die das nächste Schild trotz aller Aufregung aufmerksam befolgen, habe ich dagegen gesehen. Denn auf der folgenden Tafel steht: „If your brakes fail, turn to the right.“ „Rettung naht“ möchte man sagen, denn auf der rechten Straßenseite zweigt ein kleiner Weg ab, der sich aufwärts an den Berg schmiegt und einen antriebslosen Wagen irgendwann unweigerlich zum Stehen bringt. Aber wehe, wenn dein Auto nicht sehr bald hält. Denn der Abzweig bricht nach wenigen Metern recht abrupt ab und entpuppt sich als kleine Abschussrampe, hinter deren Kante sich schon einige Wracks stapeln.

Jetzt brauchen wir noch den Bogen von den Schildern zu den Abkürzungen. Wo es doch aussagekräftige Schilder an der Autobahn gibt wie „GVZ“ und „LPG“.

Schöner noch in der Wolgaster Innenstadt, wo vor einer unübersichtlichen Kurve, die dem verantwortungsvollen Autofahrer volle Konzentration abverlangt, unter dem Achtungszeichen folgender Text prangt: „Stop in 20m wenn LSA keine Signale sendet“.

Nach einer gewissen Bedenkzeit, die selbst bei Schrittgeschwindigkeit weit über 20m in Anspruch nehmen wird, werden sich die Signale als die Lichter einer Ampel (Lichtsignalanlage) entpuppen, die hoffentlich gerade gesendet wurden.

Im altehrwürdigen „Eulenspiegel“, der satirischen Wochenzeitschrift, wurde einmal folgender kurioser Vorgang berichtet. Vor der Eröffnung eines neuen Ambulatoriums (weitgehend mit Ärztehäusern vergleichbar, der Windows-Rechtschreibung aber nicht geläufig, weil politisch unerwünscht) wurde eine Firma mit der Herstellung der Toilettenbeschilderung beauftragt. In Auftrag gegeben wurden mehrere Kunststoffschilder für Herrentoiletten mit Piktogramm für Mann und für Damentoiletten mit Piktogramm für Frau. Und tatsächlich wurden auch folgende Schilder geliefert:


Herren

(mit Piktogramm für Mann)

 

Damen

(mit Piktogramm für Frau)

 


Die ehrfürchtigen Auftragnehmer hatten den Begriff Piktogramm offensichtlich für eine schwierige, vielleicht schmerzvolle Behandlungsmethode gehalten und nicht vermutet, dass er aus dem Bereich ihres eigenen Fachjargons stammte.

 

Entlang der Gehwege vor dem schiefen Turm in Pisa gibt es folgende Schilder: „Auf der Wiese wird das Laufen unzulässig“

In Anlehnung daran möchte ich uns angesichts der ijgd-Praxis bei JPTen und MVen daran erinnern: „In Anwesenheit von Mitmenschen, die unsere Fachsprache und unsere Abkürzungen nicht verstehen, wird deren Verwendung widersinnig.“

IV/2006 Ein Achtel Unendlichkeit

 

Wir sind Kinder aus den unendlichen Weiten des Alls. Dieses Universum ist ein guter und freundlicher Ort für uns.

Dieser Gedanke passt zu einer sternklaren Nacht um die Weihnachtszeit. Er kam mir aber beim Zähneputzen. Euch geht es sicher genauso: Mit schaumgefülltem Mund wollen wir die Erinnerung an Mutters Zahnputzregeln (Eine Minute hoch, eine Minute runter, hinten, vorn, rechts, links) verdrängen und wir beauftragen das Auge, ein neues obskures Objekt der Neu-Begierde (rätselhaftes Wortspiel mit Kulturzitat) zu finden. Woher kommt eigentlich das Fluor in meiner Zahnpasta?

Ich gebe zu, ich musste kurz überlegen, bevor ich mich an eine seltene Neutrino-Wechselwirkung mit Neon erinnern konnte, die beim Supernova-Ausbruch in unserem Quadranten der Milchstrasse einige Millionen Jahre vor dem Entstehen unserer Sonne stattfand. Langsam kam mein Gedächtnis zurück. Das war ja zur gleichen Zeit, als das Kalzium unserer Zähne aus Sauerstoff- und Siliziumkernen entstand, nachdem bereits zwei andere Siliziumkerne zum Eisen in unserem Hämoglobin verschmolzen waren. Kohlenstoff und Sauerstoff waren schon vorher in der Heliumbrennzone des alten Sterns entstanden.

„Wir sind direkt mit der Sternentwicklung verbunden und selbst ein Teil der kosmischen Geschichte.“*

Soviel zu Weihnachten.

Die Scientologen haben in Berlin ein neues Quartier aufgeschlagen, das wollte ich nur erwähnen, aber nicht weiter darüber reden. Der große weltanschauliche Bogen, den ich hier begonnen habe zu schlagen wird sich erst viel später offen zeigen.

Aber zum Thema Ursprung und Herkunft wollte ich noch etwas sagen. Und gleichzeitig auch ein wenig mit dem Kulturpessimismus aufräumen. Wir befinden uns zweifellos in einer kritischen Phase der deutschen Sprachentwicklung. Ich sehe darin  keine dauerhafte Tendenz. Es gab bereits Blütezeiten, unterbrochen von unschönen Zeiträumen und es gibt keinen Grund zu glauben, dass die schönen Zeiten nicht wiederkehren.

Immer wieder gab es Perioden, in denen andere Sprachen massiv in das Deutsche eindrangen und im Gegenzug gab es Bestrebungen deutscher Sprachpuristen, fremden Wortschatz zu verdrängen. Manchmal waren sie erfolgreich und haben uns neue deutsche Wörter beschert, die es vorher nicht gab und uns dennoch heute selbstverständlich vorkommen. Philipp von Zesen erfand im 17.Jahrhundert Worte wie Anschrift (für Adresse), Bücherei (Bibliothek), Nachruf (Nekrolog), Grundstein (Fundament) oder Vollmacht (vorher Plenipotenz). Sein Vorschlag, Fenster bzw. Nase in Tageleuchter und Gesichtserker umzubenennen blieb erfolglos. Im 19.Jahrhundert gab es wieder ähnliche Bestrebungen und Worte wie volkstümlich und Schriftbild traten zumindest an die Seite von populär und Faksimile. **

Ich lasse es dahingestellt sein, ob die Entwicklung von Studenten und Teilnehmern zu Studierenden und Teilnehmenden oder gar zu TeilnehmerInnen von Dauer sein wird. Schön finde ich es nicht. Demonstrierende Studierende sind einfach dööfer als demonstrierende Studenten. Mitdenkende Teilnehmer sind mir lieber als mit denkende Teilnehmende. Die Balance zwischen Entwicklung und Veränderung unserer Sprache auf der einen Seite und konventionellem Beharren auf tradierten Regeln als Kulturgut auf der anderen muss jeder für sich klären. Ich persönlich finde das Wort Handy nicht schön, aber treffend, den jeder weiß sofort, was gemeint ist, auch wenn die Herkunft nicht geklärt ist. Ähnlich wie beim ostdeutschen Broiler. Die Geschichte ist nicht stumm und wird das letzte Wort reden.

Damit will ich das letzte Kapitel eröffnen, das mit den Redewendungen. Das wird ein lustiger Abschnitt und ich schwöre, mir nichts ausgedacht zu haben. Alles O-Ton.

Der berühmte Sprach-Entertainer Basti Sick*** hat auch schon darüber referiert. Hier aber kommt eine geballte Ladung verballhornter Redewendungen aus unserem Alltag: (Die Rollenverteilung ist dramaturgisch verändert).

Als sich erste Widerstände gegen die in Meck-Pomm entworfene HAM-Tagesordnung 2006 regten, sagte Anja zu mir: „Du, es werden schon die ersten Barrikaden laut.“

Darauf meinte ich, man müsse ja nicht die Hunde scheu machen und fügte hinzu, dass man unter diesem Gesichtswinkel die Kuh nicht dreimal erfinden müsse.

„Das müssen wir schon“, sagte Katrin „wenn wir Sack mit Tüten machen wollen.“

Darauf Petra:“Hoffentlich übersteigert das nicht unsere Kraft. Wir müssen uns dann ganz schön auf die Zähne beißen.“

Babette gab zu bedenken:“Die Oberen interessiert das aber nicht, nur die Unteren freuen sich drei Beine aus.“

Aus Angst vor den Konsequenzen fügte Anja hinzu: „Und wir müssen dann die Früchte ausbaden! Hätten wir uns bloß nicht so weit aus dem Fenster gelegt. Jetzt stecken wir in der Zwangsmühle!“ Beunruhigt, aber noch nicht verzweifelt meinte jetzt Petra: „Es ist vielleicht noch nicht bis zu Euch durch geklungen, aber Euer Gejammer hängt den meisten schon zu den Ohren raus! Ich habe noch längst nicht Hopfen und Malz aufgegeben“

Auch Anja war inzwischen zu ihrem Optimismus zurückgekehrt:

„Ich bin jetzt wieder ganz positiver Dinge. Wir haben doch einen Wulst von Einsatzstellen. Eine ist schon in die Bresche geschlagen, weil sie den Zahn der Zeit erkannt haben.“

Zuletzt habe ich das Gespräch enttäuscht mit den Worten abgebrochen:

„Erzählt bitte keine Affenmärchen. So kommen wir doch auf keinen grünen Nenner.“

Zum Abschluss zwei Bilderrätsel:

512

Und

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Als Bücher-Tipp Hinweise zur verwendeten Literatur:

*Arnold Benz „Die Zukunft des Universums“

**dtv-Atlas „Deutsche Sprache“

*** Bastian Sick „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ Folge 2

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